Die Stadt Görlitz feiert nächstes Jahr ihren 950. Geburtstag. Das geht zurück auf den Siedlungsnamen „Villa Gorelic“, der 1071 erstmals notiert wurde. Aber: Da 1952 Biesnitz eingemeindet wurde, beginnt die Görlitzer Geschichtsschreibung viel früher. Nämlich an der Landeskrone.
Das, was heute als „Görlitzer Hausberg“ von der Stadt viel zu schlecht touristisch vermarktet wird, entstand vor etwa 30 Millionen Jahren durch vulkanische Tätigkeit, die eine Quellkuppe mit zwei unterschiedlichen Gipfeln schuf. Die Lava erkaltete schnell zu einem blaugrauen Basaltgestein. Wer gewaltigere Eindrücke schildern möchte, kann durchaus darauf verweisen, dass sich in jener Zeit auch die Alpen auftürmten. Menschlich besiedelt war freilich damals noch nichts. Das erfolgte erst mit der Einwanderung slawischer Stämme, später germanischer Jäger und Sammler im 10. und 11. Jahrhundert.
Erste Erwähnung im Jahr 1015
Der Chronist Thietmar von Merseburg war es, der einen kleinen Ort im Windschatten der Landeskrone erstmals im Jahr 1015 beschrieb: „magnu urbs busine“. Daraus wurde über mehrere Schritte Biesnitz. Erst war nur der Teil am Fuß des noch unbenannten Berges so bezeichnet, später kamen Bebauungen in Richtung Görlitz dazu. Erstmals anno 1719 nennen alte Chroniken dabei eine Trennung: „Wulka und Mala Biesnica“.
Daraus wurden die beiden eigenständigen Dörfer Klein-Biesnitz und Groß-Biesnitz mit einer Grenze etwa auf Höhe der heutigen Königshainer Straße. Erst 1949, wenige Monate vor der Görlitzer Eingemeindung, wurden sie zu einem gemeinsamen Dorf Biesnitz vereinigt.
Im 12. Jahrhundert erwähnt wird ein Ritter Ziscibor mit einer Burg auf dem Gipfel, dann taucht das aus dem Rheinland stammende Geschlecht der Herren von Landskron auf, was dem Berg schließlich seinen Namen gab. 1440 kaufte Görlitz die exakt 423,23 Meter hohe Landeskrone auf, hatte also bereits Jahrhunderte vor der Biesnitzer Eingemeindung auf dieser Flur 236 Meter über Neißehöhe oder 213 Meter höher als der Obermarkt das Sagen. Über die Hintergründe dieses Kaufs hatte die Heimatgeschichtsseite vor einigen Wochen bereits ausführlich berichtet.
Druck statt Tanz
Klein-Biesnitz wurde als Besunzane 1345 durch Kauf von Rampfold von Gersdorf und dessen Schwiegersohn Ybanus erworben. Fortan wechselten die Dorfbesitzer sehr oft, kein Wunder, hatte Klein-Biesnitz doch viel zu leiden. Das gilt für Übergriffe in der Ritterzeit ebenso wie im Hussitenkrieg 1422, im Dreißig- und im Siebenjährigen Krieg (17./18. Jahrhundert), in der Besetzung durch Verbündete der napoleonischen Truppen, als deren Hauptarmee 1813 zwischen Landeskrone und Rauschwalde stand. Von 10.000 Talern Schaden durch Plünderungen und Brandlegungen berichtet aus jener Zeit die Chronik, in der auch eine Steigerung auf mittlerweile knapp 300 Einwohner von Klein-Biesnitz zu lesen ist.
Entstanden war eine umfangreiche landwirtschaftliche Nutzung, auch werden zahlreiche Sand- und Tongruben beschrieben. Dass damals wohl auch eine Art erste Naherholung einsetzte, ist Anregungen des Görlitzer Bürgermeisters Sohr zu entnehmen, die das Anlegen der Lindenallee 1840 zur Folge hatten. Man verzeichnete zunehmend Wanderer und stellte erste Ruhebänke für sie auf.
Auf dem Gipfel der Landeskrone entstand ein zunächst kleiner, einfacher Ausschank. Wissenschaftler rückten zu mehreren archäologischen Grabungen innerhalb der alten Wallanlagen und Burgfundamente der Landeskrone an. Das alles ließ auch Klein-Biesnitz aufblühen. Gaststätten etablierten sich, betuchte Görlitzer erwarben Grundstücke.
Manches Bauwerk stand nicht lange. So wurde zum Beispiel der Gasthof „Zur Norddeutschen Bundeshalle“ errichtet – und 1896 abgerissen, um für die „Friedrich-Wilhelm-Höhe“ Platz zu schaffen. Später richtete Hans Kretzschmar eine Druckerei darin ein, die in der DDR als „Ostsachsendruck“ bekannt wurde und heute in Mietwohnungen zerstückelt ist. „Ostsachsendruck“ und ein Zweigbetrieb des Kondensatorenwerkes im „Kulmbacher Postillion“ waren die größten Industriebetriebe von Klein-Biesnitz.
1898 schloss die elektrische Straßenbahn das Dorf bequem an die Stadt Görlitz an, Strom-, Gas- und Wasserleitungen hielten Einzug, erste Straßenlampen wurden auch auf der Fahrstraße aufgestellt. Seit 1984 erfolgt sogar vom Fuß der Landeskrone aus die Trinkwasserversorgung der meisten Stadtteile, als drei gewaltige Großbehälter am Pfaffendorfer Weg eingebaut wurden, in denen hochgepumptes Frischwasser aus dem Wasserwerk Weinhübel „zwischengespeichert“ wird.
Es gab auch ein Säuglingsheim
Mit Klein-Biesnitz verbunden sind das alte Waisenhaus und Landständische Kinderheim auf der Schlaurother Straße (nach 1945 kurzzeitig von Diakonissen geleitet, dann 1951 staatliches Kinderheim „Otto Buchwitz“), das Feierabend- und Pflegeheim Friedersdorfer Straße und das Feierabendheim „Haus Gottessegen“ der Diakonie. Es gab ein weiteres Kinder- und auch ein Säuglingsheim. Hugo Gutte betrieb an der Schönbergerstraße eine homöopathische Praxis mit Erholungsheim.
Mehrere Gartenbaubetriebe waren in Klein-Biesnitz zu Hause (darunter die weit bekannte Rosen-Gärtnerei Wagner), es gab die Schmiede von Meister Heinrich, drei Tischlereien, eine Stellmacherei, einen Frisör, eine Bibliothek und die städtische Baumschule. In der DDR gab es mit dem Konsum neben dem Burghof, dem Privathändler Hüttig, einer Fleischerei und einer Bäckerei vier Lebensmittelgeschäfte, mit dem HO-Kommissionär Tobschall direkt hinter der Dorfgrenze Königshainer Straße eigentlich vier. Zum Handel zählte auch die beliebte Drogerie Neumann an der Aufgangstraße.
„Alex“ statt Zoll
Das älteste Gebäude steht jedoch nicht mehr: Es war das alte Zollhaus, in dem zuletzt Schustermeister Geppert arbeitete. Heute stehen an dieser Stelle auf der Schlaurother Straße nahe dem Lokal „Alex“ Eigenheim-Neubauten. Es gab die Post und den Landjäger und sogar ein eigenes Standesamt. Dieser Bau auf der Promenadenstraße 74 wurde 2010 abgerissen. Anderes entstand neu, darunter die Sternwarte mit Planetarium.
Von etwa 50 Anwohnern im Jahr 1050 kletterte die Einwohnerzahl Klein-Biesnitz auf derzeit knapp 1.700 (etwa 40 Prozent von Gesamt-Biesnitz). Die Kultur repräsentierte der Gesangsverein „Viktoria“ unter Leitung von Tischlermeister Gustav Michael. Drei wichtige kommunale Säulen allerdings hatte Klein-Biesnitz noch nie: eine Schule, eine Kirche und eine Feuerwehr.
Mitarbeit: Ralph Schermann
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July 22, 2020 at 04:00PM
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Als Biesnitz das Dorf der Gaststätten war - Sächsische Zeitung
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das Dorf
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